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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Bestimmen einer optimierten Ausweichtrajektorie durch eine Sicherheitseinrichtung oder ein Sicherheitssystem, insbesondere eine Spurwechsel- und/oder Ausweichunterstützung, eines Kraftfahrzeugs. Ferner betrifft die Erfindung eine Sicherheitseinrichtung oder ein Sicherheitssystem, insbesondere eine Spurwechsel- und/oder eine Ausweichunterstützung für ein Kraftfahrzeug, sowie eine Verwendung eines erfindungsgemäßen Verfahrens, einer erfindungsgemäßen Sicherheitseinrichtung oder eines erfindungsgemäßen Sicherheitssystems.
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Stand der Technik
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Die aktive Sicherheit ist einer der Schwerpunkte bei der Entwicklung aktueller und auch zukünftiger Kraftfahrzeugsysteme. Bekannte Sicherheits- oder Fahrerassistenzsysteme im Bereich der aktiven Sicherheit von Kraftfahrzeuginsassen, d. h. zur Unfallvermeidung des betreffenden Kraftfahrzeugs, sind beispielsweise das elektronische Stabilitätsprogramm ESP (Electronic Stability Programme) zur Stabilisierung des Kraftfahrzeugs durch einen Bremseingriff im fahrdynamischen Grenzbereich sowie VDM (Vehicle Dynamic Management) als Erweiterung des ESP durch zusätzliche Lenkeingriffe. Eine bekannte Sicherheitseinrichtung eines solchen Sicherheitssystems ist z. B. eine Spurwechsel- oder Ausweichunterstützung für das Kraftfahrzeug.
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Bei der Auslegung solcher Sicherheitseinrichtungen bzw. den diesen übergeordneten Sicherheitssystemen ist zu beachten, dass durchschnittliche Kraftfahrzeugführer in Gefahrensituationen oft Probleme haben, durch geeignete Lenkmanöver einem Hindernis auszuweichen. So zeigt sich z. B. in Fahrsicherheitstrainings, dass durch den durchschnittlichen Kraftfahrzeugführer zu spät, zu schnell bzw. langsam, zu viel bzw. wenig, oder gar nicht eingelenkt wird und darüber hinaus ein Gegenlenken, z. B. bei einem doppeltem Spurwechsel - also wieder zurück auf die ursprüngliche Fahrspur -, falsch oder gar nicht ausgeführt wird. Dies führt entweder zu einer Kollision mit einem Hindernis oder zu Instabilitäten, in einem schlimmen Fall zu einem Schleudern des Kraftfahrzeugs. - Es gibt daher eine Vielzahl von Fahrerassistenzsystemen (FAS oder ADAS (Advanced Driver Assistance Systems)) als elektronische bzw. mechatronische Zusatzeinrichtungen in Kraftfahrzeugen zur Unterstützung des Fahrzeugführers in kritischen Fahrsituationen.
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Die
EP 970 875 A2 lehrt ein Sicherheitssystem für Kraftfahrzeuge, durch welches aufgrund von Informationen von Abstandssensoren eine Lenkaktorik einer Steer-by-Wire-Lenkung eines Kraftfahrzeugs derart beeinflussbar ist, dass ein Kraftfahrzeugführer wenigstens daran gehindert werden kann, einen zu einer Kollision führenden Lenkwinkel einzustellen. Hierbei kann das Sicherheitssystem ggf. automatisch einen Ausweichkurs einstellen. Bei diesem Sicherheitssystem wird eine Entscheidung, ob, wann und in welche Richtung ausgewichen wird, durch das Sicherheitssystem getroffen und dem Kraftfahrzeugführer abgenommen. - Eine Bestimmung einer Ausweichtrajektorie, abgesehen von einem festgelegten Lenkwinkel für den Ausweichkurs erfolgt jedoch nicht.
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Die
EP 1 735 187 B1 offenbart ein Sicherheitssystem für Kraftfahrzeuge, mit einer Lenk- und einer Bremseinrichtung, wobei vom Sicherheitssystem zur Ausweichunterstützung in Notsituationen des Kraftfahrzeugs, eine Kollisionsgefahr mit einem Hindernis vor dem Kraftfahrzeug erfasst und bewertet wird. Dies erfolgt aufgrund interner Informationen über das Kraftfahrzeug und externer Informationen aufgrund Sensoren etc. Falls eine Gefahr einer Kollision des Kraftfahrzeugs hoch ist, wird durch das Sicherheitssystem eine Lenkunterstützung ausgelöst, sobald der Fahrzeugführer ein Ausweichmanöver bzw. ein zu zaghaftes Ausweichmanöver startet. Hierfür wird eine Ausweichtrajektorie berechnet und diese dem Fahrzeugführer in Form eines Lenkmoments, eines haptischen Signals oder eines aufbringbaren Zusatzlenkwinkels mitgeteilt. Die durch das Sicherheitssystem vorgegebene Ausweichtrajektorie kann vom Kraftfahrzeugführer übersteuert werden. - Ein Kriterium bzw. Optimierungskriterien für die Ausweichtrajektorie ist nicht offenbart.
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Die
DE 10 2007 013 303 A1 lehrt ein Verfahren zum Berechnen einer kollisionsvermeidenden Trajektorie für ein Fahrmanöver eines Fahrzeugs, insbesondere Kraftfahrzeugs, um wenigstens einem sich während der Fahrt dem Kraftfahrzeug nähernden Hindernis auszuweichen. Die laterale Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugs wird unabhängig von der longitudinalen Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugs beim Berechnen berücksichtigt. Durch eine Entkopplung von Längs- und Quergeschwindigkeit bzw. Longitudinal- und Lateralgeschwindigkeit sich ein lateraler Versatz für ein Zeitintervall beschreiben.
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Die
US 2010 / 0 228 427 A1 offenbart ein Verfahren zum Erzeugen von Steuereingaben zur teilautonomen Steuerung eines Fahrzeugs, d. h. einem variablen Grad an menschlicher Bedienersteuerung im Verhältnis zu einem Grad einer Maschinensteuerung. Das Verfahren umfasst die folgenden Schritte: Vorhersagen einer Fahrzeugtrajektorie von einer aktuellen Position über einen Zeithorizont hinweg, Bewerten einer vorhergesagten Bedrohung für das Fahrzeug und Erzeugen einer Bedrohungsmetrik, auf der Grundlage der Bedrohungsmetrik Erzeugen von mindestens einer Steuerungsautoritätsverstärkung, und Erzeugen von mindestens einer Eingabe für die Maschinensteuerung, und Erzeugen von mindestens einer skalierten Eingabe für die Maschinensteuerung auf der Grundlage der Eingabe für die Maschinensteuerung und der Steuerungsautoritätsverstärkung.
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Aufgabenstellung
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Es ist eine Aufgabe der Erfindung, ein verbessertes Verfahren zum Bestimmen einer Ausweichtrajektorie für eine Spurwechsel- und/oder Ausweichunterstützung für Kraftfahrzeuge anzugeben. Hierbei soll durch eine bestimmte bzw. berechnete Ausweichtrajektorie eine Kollisionsgefahr des Kraftfahrzeugs mit einem Hindernis sicher verhindert werden können, wobei ein Kraftfahrzeugführer eine Kontrolle über ein Lenkverhalten des Kraftfahrzeugs beibehalten soll. Ferner soll ausgehend vom Stand der Technik eine Sicherheitseinrichtung, ein Sicherheitssystem sowie das Verfahren der eingangs genannten Art derart weiterentwickelt werden, dass ein vom Kraftfahrzeugführer oder vom Kraftfahrzeug selbst eingeleitetes Ausweichmanöver fortgebildet wird.
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Offenbarung der Erfindung
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Die Aufgabe der Erfindung wird durch ein Verfahren zum Bestimmen einer Solltrajektorie bzw. einer optimierten Ausweichtrajektorie durch eine Sicherheitseinrichtung oder ein Sicherheitssystem, insbesondere durch ein Fahrerassistenzsystem wie z. B. eine Spurwechsel- und/oder eine Ausweichunterstützung, eines Kraftfahrzeugs, gemäß Anspruch 1; mittels einer Sicherheitseinrichtung oder eines Sicherheitssystems, insbesondere einer Spurwechsel- und/oder Ausweichunterstützung für ein Kraftfahrzeug, gemäß Anspruch 8; und durch eine Verwendung eines erfindungsgemäßen Verfahrens, einer erfindungsgemäßen Sicherheitseinrichtung oder eines erfindungsgemäßen Sicherheitssystems gemäß Anspruch 9 gelöst. Vorteilhafte Weiterbildungen, zusätzliche Merkmale und/oder Vorteile der Erfindung ergeben sich aus den abhängigen Ansprüchen und der folgenden Beschreibung.
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Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren wird eine ggf. aktuelle (zyklische Herangehensweise) Solltrajektorie bzw. optimierte Ausweichtrajektorie an einen Fahrzeugführer ausgegeben und/oder eine Bahnkurve des Kraftfahrzeugs an die Solltrajektorie bzw. die optimierte Ausweichtrajektorie ggf. teilweise angepasst, wobei die Solltrajektorie bzw. die optimierte Ausweichtrajektorie durch Optimieren eines querdynamischen Gütemaßes bestimmt wird, wofür bevorzugt eine Querbeschleunigung und/oder ein Querruck des Kraftfahrzeugs herangezogen wird. Für ein zeitliches Vor- oder Nachverlagern eines Beginns einer optimierten Ausweichtrajektorie bzw. eines Beginns eines eigentlichen Ausweichmanövers, erfolgt eine wegabhängige Gewichtung im querdynamischen Gütemaß vorgenommen wird, wobei im querdynamischen Gütemaß eine exponentielle Gewichtung durch einen Gewichtungsparameter erfolgt.
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Im Folgenden ist im Wesentlichen nur noch von optimierter Ausweichtrajektorie die Rede, der Begriff Solltrajektorie soll dabei durch den Begriff optimierte Ausweichtrajektorie mitumfasst sein.- Bei dem Verfahren werden bevorzugt für eine Schar von Ausweichtrajektorien die querdynamischen Gütemaße bestimmt, wobei die optimierte Ausweichtrajektorie durch ein Minimum, insbesondere durch ein globales Minimum, der bestimmten querdynamischen Gütemaße charakterisiert ist.
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Das Verfahren kann durch eine mathematische Näherungslösung durchgeführt werden, wobei eine optimierte Lösung bevorzugt formal in eine Taylorreihe, insbesondere eine Taylorreihe zweiter Ordnung, entwickelt wird. Ferner kann bei dem Verfahren der Gewichtungsparameter in Abhängigkeit eines Reibwerts zwischen einem System Reifen/Fahrbahn verstellt werden, wobei die optimierte Ausweichtrajektorie bei einem vergleichsweise geringen Reibwert zeitlich nachverlagert und bei einem vergleichsweise hohen Reibwert zeitlich vorverlagert werden kann. Des Weiteren kann bei dem Verfahren der Gewichtungsparameter in Abhängigkeit einer Zeitdauer bis hin zu einer potenziellen Kollision verstellt werden. Hierbei wird die Zeitdauer bis zur potenziellen Kollision bevorzugt aus einem Abstand zu einem Hindernis und aus einer Differenzgeschwindigkeit zwischen dem Kraftfahrzeug und dem Hindernis ermittelt.
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Für eine Durchführung eines Korrektureingriffs zur Ausweichunterstützung einmalig nach Auslösung sind z. B. folgende Schritte anwendbar. Zunächst wird ein Positionsparameter des Kraftfahrzeugs bestimmt und darauf folgend der Gewichtungsparameter an den Reibwert und/oder an die Zeitdauer bis zu einer potenziellen Kollision angepasst. In einem zeitlichen Anschluss daran kann eine Berechnung der optimierten Ausweichtrajektorie erfolgen. - Für eine Durchführung eines Korrektureingriffs zur Ausweichunterstützung zyklisch bis zu einem Ende des Manövers sind z. B. folgende Schritte anwendbar. Zunächst wird eine aktuelle Fahrzeugposition bestimmt, und in einem zeitlichen Anschluss daran erfolgt eine Berechnung einer Sollposition des Kraftfahrzeugs aus der Ausweichtrajektorie bzw. der aktuellen Ausweichtrajektorie, wobei in einem zeitlichen Anschluss daran ein Korrektur-Giermoment bestimmt wird, das in eine Ansteuergröße für das Kraftfahrzeug umgerechnet wird.
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Kurzbeschreibung der Figuren
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Die Erfindung wird im Folgenden anhand von Ausführungsbeispielen unter Bezugnahme auf die beigefügte Zeichnung näher erläutert. In den Figuren (Fig.) der Zeichnung zeigen:
- 1 in einer zweidimensionalen schematischen Draufsicht ein Spurwechsel- bzw. ein Ausweichmanöver eines Kraftfahrzeugs auf einer zweispurigen Straße oder Fahrbahn;
- 2 Funktionsgraphen von optimierten Ausweichtrajektorien für verschiedene Werte eines Gewichtungsparameters, durch welchen ein Zeitpunkt eines Beginns des Ausweichmanövers des Kraftfahrzeugs beeinflussbar ist;
- 3 einen Funktionsgraph, welcher einen Zusammenhang zwischen einem Reibwert, welcher ein System Reifen/Fahrbahn des Kraftfahrzeugs repräsentiert, und dem Gewichtungsparameter darstellt;
- 4 weiterhin einen Funktionsgraph, welcher einen Zusammenhang zwischen einer TimeToCollision, also eines Kollisionszeitpunkts des Fahrzeugs mit einem Hindernis, und dem Gewichtungsparameter darstellt; und
- 5 die Funktionsgraphen der optimierten Ausweichtrajektorien aus 2 in einer Krümmungs-Bogenlänge-Darstellung.
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Ausführungsformen der Erfindung
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Die Erfindung wird im Folgenden anhand eines Ausweichmanövers eines Kraftfahrzeugs bei einer zu überbrückenden Distanz von xE in Fahrtrichtung und einer zu überbrückenden Distanz von yE in Querrichtung zur Fahrtrichtung näher erläutert (siehe 1). Dies entspricht einem Spurwechselmanöver des Kraftfahrzeugs aufgrund eines gegenüber dem Kraftfahrzeug weiter vorne stehenden Hindernisses, z. B. eines Fahrzeugs (nicht dargestellt). Die Erfindung ist natürlich nicht auf eine solche Ausführungsform beschränkt, sondern kann auf eine Vielzahl anderer Fahrmanöver des Kraftfahrzeugs bzw. von Kraftfahrzeugen angewendet werden.
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So ist es z. B. möglich, die Erfindung nicht nur auf vergleichsweise einfache Spurwechselmanöver, sondern auch auf Ausweichmanöver des Kraftfahrzeugs anzuwenden, wobei hierfür vergleichsweise wenig Zeit zur Verfügung steht und ein schnelles und entschlossenes Handeln von Seiten des Fahrzeugführers und eines Fahrerassistenzsystems, z. B. einer Sicherheitseinrichtung oder einem Sicherheitssystem, insbesondere einer Spurwechsel- und/oder Ausweichunterstützung, notwendig ist. Ferner ist es möglich, die Erfindung auf bewegte Hindernisse, z. B. beim Überholen eines Fahrzeugs oder beim Queren eines Fußgängers oder einer Fahrradfahrerin oder bei plötzlich auftauchenden Hindernissen, zu übertragen.
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Hierfür wird im Folgenden eine Solltrajektorie bzw. eine optimierte bzw. optimale Spurwechsel- bzw. Ausweichtrajektorie aus einer Schar von Spurwechsel-, bzw. Ausweichtrajektorien anhand eines Gütemaßes J bzw. Gütekriteriums J ausgewählt. Es ist im Rahmen dieser Spezifikation im Wesentlichen nur von „optimiert“ und „Ausweichtrajektorie“ die Rede, die Begriffe „optimal“ bzw. „Soll-/Spurwechseltrajektorie“ sollen durch erstere Begriffe mitumfasst sein. Der Begriff „optimiert“ soll dabei ferner eine mögliche, bessere Ausweichtrajektorie bezeichnen, wobei diese optimierte Ausweichtrajektorie aus der Schar der Ausweichtrajektorien anhand des Gütemaßes J ausgewählt wird. Diese optimierte Ausweichtrajektorie stellt dabei nicht notwendigerweise die eine, optimale Ausweichtrajektorie dar, zumal auch das Gütemaß J anders definiert werden kann.
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Die optimierte Ausweichtrajektorie ist dann diejenige Bahnkurve, die durch das Fahrerassistenzsystem auswählt wird und dem Kraftfahrzeugführer für ein bevorstehendes Ausweichmanöver vorgeschlagen wird. D. h. diese Ausweichtrajektorie bzw. Bahnkurve soll das Fahrzeug bevorstehend fahren. Hierbei kann das Fahrerassistenzsystem auch derart eingerichtet sein, dass es die optimierte Ausweichtrajektorie dem Kraftfahrzeugführer zumindest zeitweise aufzwingt, was sich allerdings nur für Notfälle eignet, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit - z. B. der Kraftfahrzeugführer signalisiert dies - detektiert wurden. Hierbei kann das Fahrerassistenzsystem ggf. derart konzipiert sein, dass die Ausweichtrajektorie durch den Kraftfahrzeugführer nicht unter- aber überschritten werden darf.
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Ein solches Fahrerassistenzsystem, also eine Sicherheitseinrichtung oder ein Sicherheitssystem, welche bzw. welches auch als Antikollisionseinrichtung bzw. Antikollisionssystem bezeichnet werden kann, kann eine im Wesentlichen elektronische Einrichtung oder ein im Wesentlichen elektronisches System sein, die bzw. das sich herkömmlicher mechanischer Einrichtungen und Steller des Kraftfahrzeugs bedient. Ferner ist es möglich, eine solche Einrichtung oder ein solches System zusätzlich mit mechanischen Einrichtungen und Stellern zu versehen. Eine solche Einrichtung bzw. ein solches System ist in der
EP 1 735 187 B1 offenbart, deren Offenbarungsgehalt hier ausdrücklich mit aufgenommen werden soll. Für eine Berechnung einer optimierten Ausweichtrajektorie bzw. die Berechnung von Ausweichtrajektorien muss zunächst ein Hindernis detektiert werden. Dies kann z. B. gemäß der
EP 1 735 187 B1 erfolgen (vgl. den folgenden Absatz mit den Absätzen [0029] und [0030] der
EP 1 735 187 B1 ).
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In einem ersten Schritt werden interne und externe Bedingungen, nämlich Parameter und ein Umfeld eines Kraftfahrzeugs, erfasst. Zur Umsetzung dieser Funktion weist das Sicherheitssystem eine Erfassungseinheit zur Umfelderfassung auf; diese Erfassungseinheit arbeitet u. a. auf Radar- und/oder auf Videosensorbasis. Zudem werden im Rahmen der Erfassungseinheit mittels weiterer Sensoren zusätzlich Daten und Informationen über die befahrene Straße erfasst, z. B. Daten und Informationen über Anzahl und Breite der Fahrspuren sowie über die Position des eigenen Fahrzeugs und eines potenziellen Kollisionsgegners relativ zu den Fahrspuren. Auch werden Daten und Informationen einer digitalen Karte, z. B. eines Navigationssystems, in die Umfelderfassung einbezogen. Als weitere Informationsquellen sind auch Fahrzeug-Kommunikation, Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation und Daten des eigenen Kraftfahrzeuges möglich. - Siehe ferner auch das Berechnungsmodul 26 der
EP 1 735 187 B1 .
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Bei einem Spurwechsel bzw. einem Ausweichmanöver soll das Kraftfahrzeug seine Bahnkurve oder Trajektorie quer zu dessen ursprünglicher Bewegungsrichtung ändern. Die Beschreibung der Ausweichtrajektorie erfolgt bevorzugt in erdfesten Koordinaten als eine Funktionsdarstellung y(x), siehe
1. Bevorzugt wird ein Koordinatensystem xy derart eingerichtet, dass sich das Kraftfahrzeug, insbesondere dessen Schwerpunkt, zu Beginn des Ausweichmanövers in einem Ursprung des Koordinatensystems xy befindet, d. h. Parameter x = 0 und Parameter y = 0. Darüber hinaus sei eine x-Achse des Koordinatensystems parallel zur ursprünglichen Längsachse des Kraftfahrzeugs, also unmittelbar vor Beginn des Ausweichmanövers, ausgerichtet. Die Ausweichtrajektorie soll zudem am Beginn des Manövers nicht gekrümmt sein. Damit erhält man die Anfangsbedingungen:
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Die Notation mit Strich (') bedeutet hierbei eine mathematische Ableitung nach dem Ort. Hierbei ist y ein Spurversatz des Kraftfahrzeugs bzw. der Ausweichtrajektorie, y' ein Winkel der Ausweichtrajektorie gegenüber der x-Ache und y" die Krümmung der Ausweichtrajektorie im Ursprung des Koordinatensystems. - Bei einem Ende des Spurwechsels soll das Kraftfahrzeug quer um y
E versetzt, in die gleiche Richtung wie zeitlich unmittelbar vor Beginn des Spurwechsels fahren und sich ebenfalls wieder auf einer nicht gekrümmten Bahnkurve befinden. Damit lauten die Endbedingungen analog zu den Anfangsbedingungen:
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Nun wird eine Ausweichtrajektorie geplant, bestimmt, berechnet bzw. angegeben, welche - unter der Voraussetzung der Fahrzeugführer lässt dies zu - das Fahrzeug sicher und die Insassen möglichst komfortabel führt. D. h. unter Einhaltung dieser Randbedingungen ist eine Ausweichtrajektorie zu planen, welche für die Insassen möglichst komfortabel ist. Zur Bewertung des Fahrkomforts bietet sich die Querbeschleunigung a des Kraftfahrzeugs bzw. der Insassen an. Es wird vorgeschlagen, die Ausweichtrajektorien durch Optimierung querdynamischer Gütemaße J bzw. Gütekriterien J zu berechnen. Ein erster Ansatz für ein querdynamisches Gütemaß J lautet:
Dabei wird die Querbeschleunigung a quadriert und über ein Spurwechselintervall [0, x
E] integriert. Alternativ dazu kann auch der Querruck ȧ
y = da
y/dt analog, also unter Quadrieren und Integrieren, bewertet werden:
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Die optimierten bzw. optimalen Lösungen beider Gütemaße J können über die Werte xE und yE der Randbedingungen an die Entfernung und an die Breite des Hindernisses angepasst werden. Die optimierte Lösung erhält man, dadurch, dass jeweils eine Schar von querdynamischen Gütemaßen J aufgestellt wird, und ein Minimum, insbesondere ein globales Minimum, gesucht wird.
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Eine zusätzliche Anpassungsmöglichkeit sollte es ermöglichen, den Zeitpunkt des Überwechselns auf die Nachbarspur vorzuziehen oder nach hinten zu verschieben. Dies erreicht man durch die Einführung von wegabhängigen Gewichtungen im Gütemaß J, z. B. durch eine exponentielle Gewichtung gemäß:
für den Querruck ȧ. Für die Querbeschleunigung a gilt entsprechend:
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Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur noch auf den Querruck ȧ, sind jedoch analog auf die Querbeschleunigung a anwendbar.
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Wählt man dabei den Gewichtungsparameter α > 0, so werden Werte des Querrucks ȧ bei größerem x stärker gewichtet. Die Optimierung wird in diesem Fall dafür sorgen, dass das Kraftfahrzeug die Spur früher wechselt. Umgekehrt sind die Verhältnisse bei α < 0. In diesem Fall werden Werte des Querrucks ȧ bei größerem x schwächer gewichtet. Dies läuft auf einen späteren Spurwechsel hinaus. 2 zeigt dabei die optimalen Spurwechseltrajektorien für verschiedene Werte des Gewichtungsparameters α (-5/xE, -2/xE, -1/xE, 0, +1/xE, +2/xE, +5/xE). Hierbei kann der Spurwechselpunkt mit α wirksam nach vorne oder hinten verschoben werden.
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Für eine Anwendung ist es jedoch hinderlich, dass eine Lösung bei einem wegabhängigen Gütemaß J in einer Formeldarstellung praktisch schlecht handhabbar ist, was sich mit einer Näherungslösung umgehen lässt. Bevorzugt entwickelt man dazu eine optimierte Lösung y(x, α) formal in eine Taylorreihe bevorzugt bis zur zweiten Ordnung bezüglich des Gewichtungsparameters α:
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Die Taylorkoeffizienten berechnen sich dabei zu:
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Weiterhin wird vorgeschlagen, den Gewichtungsparameter α in Abhängigkeit des geschätzten Reibwerts µ zu verstellen. Die physikalisch fahrbare Ausweichtrajektorie hängt stark von dem verfügbaren Reibwert µ eines Systems Reifen/Fahrbahn ab. Bei einem vergleichsweise geringen Reibwert µ (z. B. bei vereister Straße) muss die Solltrajektorie, also die optimierte Ausweichtrajektorie, nach hinten (späterer Querversatz) verschoben werden, bei vergleichsweise hohem Reibwert µ (z. B. trockener Asphalt) kann die Solltrajektorie nach vorne verschoben werden. Daraus ergibt sich folgender Zusammenhang zwischen dem Reibwert µ und dem Gewichtungsparameter α: Bei kleinem µ ist α negativ, bei gro-ßem Reibwert µ wird der Gewichtungsparameter α positiv. Dazwischen wird bevorzugt linear übergegangen (siehe 3).
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Ferner wird vorgeschlagen, den Gewichtungsparameter α in Abhängigkeit einer Zeitdauer bis zu einer potenziellen Kollision (TimeToCollision TTC) zu verstellen. Die TTC wird aus einem Abstand zum Hindernis x
Hindernis und aus der Differenzgeschwindigkeit Δv berechnet.
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Die zuvor vorgestellte Ausweichtrajektorie (ein Polynom 5. Grades) hat die Eigenschaft, dass bei vergleichsweise großer TTC zu Beginn des Ausweichmanövers ein vergleichsweise geringer Querversatz gefordert wird. Der Fahrzeugführer hingegen versucht typischerweise sofort einen vergleichsweise großen Querversatz gegenüber dem Hindernis zu erzeugen. Daher muss die Soll- bzw. Ausweichtrajektorie für vergleichsweise große TTC zeitlich nach vorne und für vergleichsweise kleine TTC zeitlich nach hinten verschoben werden. Daraus folgt für den Gewichtungsparameter α, dass er für vergleichsweise große TTC positiv und für vergleichsweise kleine TTC negativ ist. 4 veranschaulicht die Zusammenhänge.
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Eine bestimmte bzw. berechnete Ausweichtrajektorie kann z. B. mittels folgenden Stellern umgesetzt werden: einer elektrischen Servolenkung, einer Überlagerungslenkung, einer Steer-by-Wire-Lenkung und/oder eines einseitiges Bremseingriffs eines ESP.
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Für eine Durchführung eines Korrektureingriffs zur Ausweichunterstützung werden - einmalig nach Auslösung - die folgenden Schritte vorgeschlagen: Bestimmung der Parameter xE, yE z. B. aus einer Umfeldsensorik (z. B. Radar, Video, Lidar), Anpassung des Gewichtungsparameters α an den erkannten Reibwert µ und/oder an die TimeToCollision sowie Berechnung der Soll- bzw. der optimierten Ausweichtrajektorie.
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Für eine zyklische Herangehensweise bis zum Ende des Ausweichmanövers ist z. B. folgendes möglich. Zunächst werden die aktuellen x- und y-Koordinaten (Nullpunkt: Fahrzeugposition bei Auslösung) bestimmt. Darauf folgend erfolgt eine Berechnung von ysoll aus der Solltrajektorie y(x) bzw. der aktuellen Ausweichtrajektorie abhängig von einer aktuellen x-Koordinate. Daraufhin wird ein Korrektur-Giermoment Mz aus einer Differenz ysoll - y bestimmt. Nun erfolgt eine Umrechnung des Korrektur-Giermoments Mz in eine Ansteuergröße abhängig von einem oder einer Mehrzahl von Stellern. Dies ist z. B. ein Lenkmoment bei einer elektrischen Servolenkung, ein Lenkwinkel bei einer Überlagerungslenkung bzw. einer Steer-by-Wire-Lenkung oder ein Bremsdruck des ESP.
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Alternativ kann dabei zur Berechnung eines Korrektur-Giermoments M
z aus der Differenz y
soll - y eine Funktionsdarstellung y(x) in die Krümmung-Bogenlänge-Darstellung umgerechnet werden:
Krümmung κ und Bogenlänge s sind geometrische Kenngrößen einer ebenen Kurve, die unmittelbar mit einer Fahrzeugbewegung zusammenhängen. Die Bogenlänge erhält man durch Integration der im Kraftfahrzeug als Schätzgröße verfügbaren Fahrzeuggeschwindigkeit v:
Liegt eine (Soll-)Ausweichtrajektorie als κ
soll(s) vor, dann kann aus der aktuellen gefahrenen Bogenlänge nach einem Manöverbeginn eine aktuelle Sollkrümmung κ
soll ermittelt werden. Aus der Sollkrümmung κ
soll gewinnt man durch Multiplikation mit der Fahrzeuggeschwindigkeit v eine Gierrate, die als Sollgierrate ψ̇
soll auf einen nachgeschalteten Fahrdynamikregler gegeben werden kann:
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Im Grenzfall einer niedrig-dynamischen Fahrzeugbewegung mit Schräglaufwinkeln gegen 0, d. h. für a
y gegen 0, kann auch direkt ein Sollradlenkwinkel δ
soll für Lenkwinkel-stellende Systeme (Überlagerungslenkung, Steer-by-Wire-Lenkung) berechnet werden:
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Dabei ist L ein Radstand des Kraftfahrzeugs.
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Für die Umrechnung der Beschreibung der Ausweichtrajektorien aus erdfesten Koordinaten y(x) in die Krümmungs-Bogenlänge-Darstellung κ(s) nutzt man die folgenden bekannten Gleichungen:
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5 zeigt das Ergebnis für die optimierten Ausweichtrajektorien aus 2.
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Des Weiteren ist das Verfahren natürlich auch mit einem inversen Ansatz durchführbar.