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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Betreiben eines automatisierten Fahrzeugs. Die Erfindung betrifft ferner eine Vorrichtung zum Betreiben eines automatisierten Fahrzeugs. Die Erfindung betrifft ferner ein Computerprogramm. Die Erfindung betrifft ferner ein maschinenlesbares Speichermedium.
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Stand der Technik
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Für das automatisierte Fahren ist es sinnvoll, eine sogenannte Verhaltensplanung bzw. Vorausberechnung des Verhaltens des Egofahrzeugs und anderer sensorisch erfasster Fahrzeuge („Prädiktion“) für einen definierten zukünftigen Zeithorizont durchzuführen. Diese Verhaltensplanung hat die Aufgabe, die Auswirkungen von verschiedenen möglichen Verhalten (z.B. Spur halten, Spur wechseln nach links/nach rechts, usw.) voraus zu berechnen. Dazu wird üblicherweise eine Vorwärts-Simulation durchgeführt, welche das Verhalten des Egofahrzeugs und die Wechselwirkung mit allen relevanten anderen Verkehrsteilnehmern simuliert. Im Anschluss können die Auswirkungen eines Verhaltens bewertet werden (zum Beispiel Zeitgewinn durch Überholen des Vorderfahrzeugs), und das am besten bewertete Verhalten ausgeführt werden. Dadurch ergibt sich auch eine bessere Vorausschau des Ego-Fahrzeugs: es kann damit frühzeitig auf etwaige kritische Situationen reagieren (welche sich aus der Vorwärts-Simulation ergeben) und diese Äste vermeiden.
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Zur Umsetzung der genannten Verhaltensplanung wird dazu in der Regel ein Entscheidungs- bzw. Simulationsbaum eingesetzt. Die „Zweige“ des Entscheidungs- bzw. Simulationsbaums sind dabei die verschiedenen möglichen Verhaltensmuster, wobei zu verschiedenen Zeitpunkten Verzweigungen möglich sind, zum Beispiel: Zweig 1 = Spur halten, Zweig 2 = Spurwechsel nach links, Zweig 3 = Spurwechsel nach rechts.
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Dabei tritt allerdings das Problem auf, dass solche Verzweigungen theoretisch zu jedem Zeitpunkt stattfinden können (zum Beispiel Spurwechselbeginn etwas früher oder später). Dadurch droht die Größe des Entscheidungsbaums und damit die Rechenzeit für die Simulation der Äste zu „explodieren“, d.h. dass die Komplexität stark ansteigt.
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Offenbarung der Erfindung
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Eine Aufgabe der Erfindung ist es, ein verbessertes Verfahren zum Betreiben eines automatisierten Fahrzeugs bereitzustellen.
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Die Aufgabe wird gemäß einem ersten Aspekt gelöst mit Verfahren zum Betreiben eines automatisierten Fahrzeugs, aufweisend die Schritte:
- - Sensorisches Erfassen eines Umfelds des automatisierten Fahrzeugs;
- - Prädizieren eines Fahrverhaltens des automatisierten Fahrzeugs und eines anderen sensorisch erfassten Verkehrsteilnehmers für einen definierten zukünftigen Zeitabschnitt in einem Simulationsbaum, wobei eine Interaktion des automatisierten Fahrzeugs mit dem wenigstens einen anderen sensorisch erfassten Verkehrsteilnehmer und/oder eine Interaktion des automatisierten Fahrzeugs mit dem sensorisch erfassten Umfeld ohne sensorisch erfassten Verkehrsteilnehmer simuliert wird; wobei
- - ein Verzweigen des prädizierten Fahrverhaltens im Simulationsbaum jeweils erst nach Vorliegen von wenigstens einem definierten zeitlichen und/oder räumlichen Umstand des automatisierten Fahrzeugs oder des Umfelds durchgeführt wird; und
- - wobei das automatisierte Fahrzeug gemäß einem definierten Ergebnis des prädizierten Fahrverhaltens geführt wird.
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Auf diese Weise wird, basierend auf vorliegenden Sensorinformationen für einen definierten Zeitraum, eine Vorwärtsplanung des automatisierten Fahrzeugs und der anderen Verkehrsteilnehmer durchgeführt. Eine Verzweigung der Vorwärtsplanung im Simulationsbaum wird dabei jeweils nur bei Vorliegen von definierten Bedingungen durchgeführt, was im Ergebnis vorteilhaft einen reduzierten Rechenaufwand zur Berechnung des Simulationsbaums bedeutet, weil dieser gegenüber konventionellen Verfahren nur wenige Zweige aufweist. Dadurch wird der Simulationsbaum event-getriggert verzweigt und aufgebaut, und nicht, wie im Stand der Technik, in einem starren Zeitraster verzweigt, wodurch der Simulationsaufwand vorteilhaft gering gehalten werden kann. Vorteilhaft kann dadurch für das automatisierte Fahrzeug eine Entscheidung für eine tatsächlich zu fahrende Variante früher getroffen werden, was ein Sicherheitsniveau in einem Verkehrsszenario bedeutsam erhöhen kann. Im Ergebnis wird mit dem vorgeschlagenen Verfahren ein prädizierender, generischer Ansatz verfolgt, der sich mit Null bis n sensorisch erfassten Verkehrsteilnehmern umsetzen lässt.
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Ein weiterer Vorteil ist, dass das Verhalten des automatisierten Fahrzeugs durch die Vorgabe der exakten Entscheidungs-Events vorhersehbar ist, was eine Validierung der Funktion erleichtert bzw. erst ermöglicht.
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Gemäß einem zweiten Aspekt wird die Aufgabe gelöst mit einer Vorrichtung zum Betreiben eines automatisierten Fahrzeugs, die ausgebildet ist, das vorgeschlagene Verfahren durchzuführen.
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Gemäß einem dritten Aspekt wird die Aufgabe gelöst mit einem Computerprogramm, welches ausgebildet ist, das vorgeschlagene Verfahren auszuführen.
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Gemäß einem vierten Aspekt wird das die Aufgabe gelöst mit einem maschinenlesbaren Speichermedium, auf dem das Computerprogramm gespeichert ist.
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Vorteilhafte Weiterbildungen des Verfahrens sind Gegenstand von abhängigen Ansprüchen.
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Eine vorteilhafte Weiterbildung des Verfahrens sieht vor, dass das Fahrverhalten im Simulationsbaum verzweigt wird, wenn sich das automatisierte Fahrzeug während des Prädizierens einem Vorderfahrzeug nähert, dessen Geschwindigkeit geringer ist als die Zielgeschwindigkeit des automatisierten Fahrzeugs ist und eine Distanzschwelle zum Vorderfahrzeug unterschritten wurde. Dies kann in Kombination mit weiteren Bedingungen für das Triggern/Auslösen des Events „Spurwechsel“ bei einem Überholmanöver verwendet werden.
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Eine weitere vorteilhafte Weiterbildung des Verfahrens sieht vor, wobei im Falle, dass während des Prädizierens des Fahrverhaltens eine Spurwechsel-Triggerdistanz zu einem Vorderfahrzeug erreicht ist und ein von hinten auf einer Nachbarspur das Fahrzeug annäherndes Fahrzeug sensorisch erfasst wird, das Durchführen eines Spurwechsels für das automatisierte Fahrzeug auf der Nachbarspur nicht freigegeben wird.
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Eine weitere vorteilhafte Weiterbildung des Verfahrens sieht vor, dass der Spurwechsel für das automatisierte Fahrzeug nur dann freigegeben wird, wenn das von hinten sich annähernde Fahrzeug nicht stärker bremsen muss, als ein definierter Schwellenwert. Auch auf diese Weise ist ein sicheres und flüssiges Verkehrsgeschehen unterstützt.
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Eine weitere vorteilhafte Weiterbildung des Verfahrens sieht vor, dass die Spurwechsel-Triggerdistanz erreicht ist und sensorisch erfasst wird, dass sich von hinten kein Fahrzeug auf der Nachbarspur annähert, das Durchführen eines Spurwechsels für das automatisierte Fahrzeug auf der Nachbarspur freigegeben wird. Auch auf diese Weise ist ein sicheres und flüssiges Verkehrsgeschehen unterstützt.
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Eine weitere vorteilhafte Weiterbildung des Verfahrens zeichnet sich dadurch aus, dass das Fahrverhalten des automatisierten Fahrzeugs im Simulationsbaum verzweigt wird, wenn eine Sollposition des automatisierten Fahrzeugs in Relation zu einer Lücke eines Fahrzeugverbunds ermittelt worden ist und das automatisierte Fahrzeug die Lücke erreicht hat und im Wesentlich gleich schnell fährt wie die Lücke. Auf diese Weise ist das vorgeschlagene Verfahren vorteilhaft auch für ein Einfädeln des Fahrzeugs in eine fahrende Fahrzeugkolonne geeignet.
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Eine weitere vorteilhafte Weiterbildung des Verfahrens zeichnet sich dadurch aus, dass mittels einer definierten Berechnungsvorschrift ermittelt wird, an welcher Position das automatisierte Fahrzeug in die Lücke einfahren soll. Vorteilhaft können dadurch beim vorgeschlagenen Verfahren unterschiedliche Fahrstile des Ego-Fahrzeugs und der beteiligten Fahrzeuge, welche die Lücke erzeugen, berücksichtigt werden.
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Die Erfindung wird im Folgenden mit weiteren Merkmalen und Vorteilen anhand von mehreren Figuren detailliert beschrieben. Dabei bilden alle beschriebenen oder dargestellten Merkmale für sich oder in beliebiger Kombination den Gegenstand der Erfindung, unabhängig von ihrer Zusammenfassung in den Patentansprüchen oder deren Rückbeziehung, sowie unabhängig von ihrer Formulierung bzw. Darstellung in der Beschreibung bzw. in den Figuren. Die Figuren sind vor allem dazu gedacht, die erfindungswesentlichen Prinzipien zu verdeutlichen und sind nicht notwendigerweise maßstabgetreu ausgeführt.
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In den Figuren zeigt:
- 1-6 mehrere Darstellungen von Szenarien zur Durchführung des vorgeschlagenen Verfahrens; und
- 7 eine prinzipielle Darstellung einer Funktionsweise einer Ausführungsform des vorgeschlagenen Verfahrens zum Betreiben eines automatisierten Fahrzeugs.
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Beschreibung von Ausführungsformen
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Im Folgenden wird der Begriff automatisiertes Fahrzeug synonym in den Bedeutungen teilautomatisiertes Fahrzeug, autonomes Fahrzeug und teilautonomes Fahrzeug verwendet.
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Ein Kerngedanke der Erfindung ist es insbesondere, ein verbessertes Verfahren und eine Vorrichtung zum Durchführen einer verbesserten Verhaltensplanung bzw. eines verbesserten Betreibens für ein automatisiertes Fahrzeug bereitzustellen.
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Vorgeschlagen wird ein Verfahren, welches mögliche Zeitpunkte von Verzweigungen eines in einem Simulationsbaum durchgeführten prädizierten Fahrverhaltens und deren Anzahl so weit wie möglich reduziert, ohne dabei „gute“ Zeitpunkte zu „verpassen“. Unter einem „guten Zeitpunkt“ wird dabei ein Zeitpunkt verstanden, zu dem eine unmittelbare Entscheidung betreffend ein Fahrverhalten des automatisierten Fahrzeugs ansteht.
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Ein Kerngedanke dabei ist, dass beim Durchführen der Verhaltensplanung bzw. Vorwärtssimulation (Prädiktion) Verzweigungen im Simulationsbaum nur bei Vorliegen von eindeutigen räumlichen und zeitlichen Ereignissen (Verzweigungs-Bedingungen) zugelassen werden. Dadurch reduziert sich vorteilhafter Weise die Zahl der möglichen Verzweigungen im Simulationsbaum stark und dadurch auch die Rechenzeit zur Berechnung des Simulationsbaum in entsprechender Weise. Auf diese Weise ist vorteilhaft unterstützt, dass trotz begrenzter Rechenkapazität dennoch viele (oder sogar alle momentan möglichen bzw. sinnvollen) Baumverzweigungen in der Simulation durchgerechnet werden und daraus ein Optimum gefunden werden kann. Im Ergebnis wird ein Betreiben des automatischen Fahrzeugs mit den optimalen Simulationsergebnissen auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt.
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In einer Variante des vorgeschlagenen Verfahrens ist vorgesehen, dass die Verzweigungs-Bedingungen aus einem definierten „Fahrstil“ (feste Regeln und Gleichungen) abgeleitet werden. Durch den definierten Fahrstil wird es z.B. möglich, verschiedene, nachfolgend exemplarisch genannte Anforderungen zu erfüllen:
- - Anforderungen an funktionale Sicherheit und Validation (z.B. Mindestabstände, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsgrenzen, technische Aktuatormöglichkeiten, usw.)
- - Gesetzliche Vorgaben, wie zum Beispiel länderspezifische Vorgaben zu Geschwindigkeiten, Abständen, Reißverschluss-Verfahren, usw.
- - Fahrstil-Vorgaben des Fahrzeugherstellers zum Beispiel, z.B. sportlich, komfortabel, Stadtverkehr, usw.
- - Fahrstil-Auswahl des Fahrzeugnutzers während der Fahrt (z.B. komfortabel, zeitoptimiert, usw.
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Durch die Fahrstil-Vorgabe kann mit dem vorgeschlagenen Verfahren vorteilhaft eine automatisierte Fahrfunktion des Fahrzeugs sicherer und attraktiver ausgestaltet werden.
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Unter einer „Verzweigung innerhalb des Simulationsbaums“ wird verstanden, dass in diesem Fall eine neue Aktion des Fahrverhaltens prädiziert wird, in Abweichung vom bisher prädizierten Fahrverhalten des automatisierten Fahrzeugs. Der Simulationsbaum wird somit quasi „in Echtzeit“, d.h. sehr oft und sehr schnell aufgebaut bzw. durchlaufen, wobei der gesamte Simulationsbaum z.B. in 20ms durchlaufen bzw. durchsimuliert wird. Der Zeitraum 20ms ist dabei lediglich exemplarisch zu verstehen.
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Im Folgenden werden für das vorgeschlagene Verfahren drei Beispiele näher erläutert.
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Beispiel 1: Überholvorgang mit freier Überholspur
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Ein Spurwechsel nach links zum Zwecke eines Überholvorgangs darf beispielsweise nur dann durchgeführt werden, wenn:
- a) sich das Fahrzeug einem Vorderfahrzeug nähert, dessen Geschwindigkeit langsamer als die Geschwindigkeit des Fahrzeugs ist, und
- b) eine Distanzschwelle zum Vorderfahrzeug gemäß folgender Bedingung unterschritten wurde
- dSP
- Spurwechsel-Triggerdistanz
- vF
- Geschwindigkeit des Fahrzeugs
- vV
- Geschwindigkeit Vorderfahrzeug
- aV
- Beschleunigung Vorderfahrzeug
Dabei ist f(..) eine Funktion, welche die genannten Eingangssignale (und gegebenenfalls auch noch weitere Eingangssignale), und dazu einige Parameter enthält. Entsprechend kann nach dem Überholvorgang auch ein Einscher-Abstand als Funktion vorgegeben werden.
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Ferner darf ein Spurwechsel nach rechts zum Zwecke einer Abfahrt von der Autobahn beispielsweise nur ab dem Moment durchgeführt werden, wenn das Fahrzeug eine Autobahnausfahrt erreicht hat, auf welcher es abfahren soll, wobei weitere Bedingungen erfüllt sein müssen.
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1 zeigt ein automatisiertes Fahrzeug 100 (Ego-Fahrzeug) bei einem simulierten und nach erfolgter Simulation auch praktisch durchgeführten Überholvorgang eines Vorderfahrzeugs 101. Das automatisierte Fahrzeug 100 und das Vorderfahrzeug 101 fahren beide auf einer Fahrbahn bzw. Straße 1. Somit zeigt 1 eine Situation in der Zukunft, die dann vom automatisierten Fahrzeug 100 fahrtechnisch in der Gegenwart gemäß dem Ergebnis der vorangegangenen Simulation realisiert wird. Falls die durchgeführte Simulation ein kritisches Ergebnis liefert, wird dieses Ergebnis in der Gegenwart vom automatisierten Fahrzeug 100 somit nicht in die Praxis umgesetzt. Das automatisierte Fahrzeug 100 ist mit einer leistungsfähigen Umfeldsensorik (nicht dargestellt) ausgestattet, beispielsweise in Form von Ultraschall, Radar, Lidar, Mono- oder Stereokamera, Fahrspurerkennungseinrichtung, usw.
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Dabei ist wenigstens einer der genannten Sensoren im Front- und im Heckbereich angeordnet, um auf der Straße 1 zuverlässig zumindest einen von hinten kommenden Verkehrsteilnehmer sensorisch erfassen zu können. Die Fahrtrichtungen der Fahrzeuge 100, 101 sind mit Pfeilen angedeutet. Die zugehörigen Verhaltensaktionen sind wie folgt: das automatisierte Fahrzeug 100 befindet sich zunächst in der Aktion „In Spur fahren, mit oder ohne Vorderfahrzeug“, bis es an der Entscheidungsposition EP1 die gewünschte Spurwechsel-Triggeristanz dsp zum Vorderfahrzeug 101 erreicht hat.
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Hier wird im Simulationsbaum (nicht dargestellt) eine Verzweigung der Vorwärts-simulation bzw. Prädiktion durchgeführt und auch ein Spurwechsel nach links simuliert. Auf der Überholspur angekommen, wechselt das Fahrzeug 100 wieder in die Aktion „In Spur fahren, mit oder ohne Vorderfahrzeug“. Nach dem Überholvorgang erreicht das automatisierte Fahrzeug 100 an der Entscheidungsposition EP2 die gewünschte Einscher-Distanz dES zum Vorderfahrzeug 101 und verzweigt hier im Simulationsbaum zu einem Spurwechsel nach rechts, der dann auch tatsächlich durchgeführt wird.
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Beispiel 2: Überholvorgang mit blockierter Überholspur
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Dieses Szenario ist in den 2 bis 4 dargestellt. Hier erreicht das automatisierte Fahrzeug 100 in der Entscheidungsposition EP1, in der eine Verzweigung zu einem Spurwechsel erlaubt wird, zwar die Spurwechsel-Triggerdistanz dsp (Überholabstand) zum Vorderfahrzeug 101. Allerdings ergibt eine weitere notwendige Verzweigungs-Bedingung aus der durchgeführten Vorwärtssimulation, dass der Spurwechsel bzw. Überholvorgang für das automatisierte Fahrzeug 100 in diesem Falle nicht möglich ist, weil ein anderes Fahrzeug 102 auf der Überholspur schnell von hinten angefahren kommt (vergleiche 3).
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Dadurch ist für das automatisierte Fahrzeug 100 ein Durchführen des Spurwechsels nicht möglich, weil im Simulationsbaum entweder eine weitere Verzweigungs-Bedingung nicht erfüllt ist, oder die an der Entscheidungsposition EP1 durchgeführte Vorwärtssimulation ergibt, dass ein Überholvorgang in einer Kollision des Fahrzeugs 100 mit dem Fahrzeug 102 enden würde. Die an der Entscheidungsposition EP1 weiterhin durchgeführte Vorwärtssimulation mit einer Geradeausfahrt ergibt hingegen, dass diese ohne Kollision des automatisierten Fahrzeugs 100 möglich ist, weshalb sich das Fahrzeug 100 noch mehr an das Vorderfahrzeug 101 annähert.
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Das automatisierte Fahrzeug 100 verbleibt als Konsequenz daher in der Funktion „In Spur fahren, mit oder ohne Vorderfahrzeug“, verringert seine Geschwindigkeit und nähert sich dem Vorderfahrzeug 101 bis zur vorgegebenen Folgedistanz dF, die durch einen an sich bekannten ACC-Abstandsregler des automatisierten Fahrzeugs 100 eingestellt wird.
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Möglich wäre das genannte Überholmanöver im Szenario von 3 allerdings dann, wenn dadurch das Fahrzeug 102 nicht stärker abbremsen muss als ein vorgegebener Schwellwert (nicht dargestellt). Dadurch wird das Fahrzeug 102 davor bewahrt, aufgrund des zu einem Überholvorgang ansetzenden automatisierten Fahrzeugs 100 übermäßig stark abzubremsen (oder sogar eine Vollbremsung durchzuführen) und dadurch einen Unfall zu riskieren. Ermöglicht wird dies durch eine sensorische Erfassung der Geschwindigkeit des Fahrzeugs 102 durch eine nach hinten ausgerichtete Sensorik (nicht dargestellt) des automatisierten Fahrzeugs 100.
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Im anderen Fall wird aufgrund der erfassten Geschwindigkeit des Fahrzeugs 102 entschieden, dass im Simulationsbaum gar keine Verzweigung zu einer Vorwärtssimulation des Spurwechsels durchgeführt wird, weil die Differenzgeschwindigkeit zwischen den Fahrzeugen 100, 102 zu hoch ist, so dass das Fahrzeug 102 bei Durchführung eines Spurwechsels des Fahrzeugs 100 nicht mehr rechtzeitig abbremsen könnte.
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4 zeigt, dass in der Entscheidungsposition EP2 die Überholspur frei ist, weshalb in der Entscheidungsposition EP2 eine Vorwärtssimulation im Simulationsbaum durchgeführt wird. Ein Überholpfeil deutet an, dass nunmehr ein Überholvorgang des Vorderfahrzeugs 101 simuliert wird, was gemäß der Simulation kollisionsfrei möglich ist und in der Praxis dann vom automatisierten Fahrzeug 100 auch tatsächlich durchgeführt wird.
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Beispiel 3: Einfädeln
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Ein komplexes Fahrmanöver zum Einfädeln des automatisierten Fahrzeugs 100 in eine Lücke ist schematisch in den 5 und 6 dargestellt. In 5 befindet sich das automatisierte Fahrzeug 100 auf einer Einfahrspur 2 (z.B. Autobahn-Einfahrt), und beabsichtigt, in den auf der Straße 1 fließenden Verkehr einzufädeln. Für das Einfädelmanöver sind beispielhaft drei Lücken S1, S2, S3 zwischen Fahrzeugen 103-106 möglich.
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Zu jeder Lücke S1, S2, S3 wird für das automatisierte Fahrzeug 100 über eine entsprechende Fahrstilvorgabe bzw. Funktion eine Sollposition berechnet.
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Das Einfädeln des automatisierten Fahrzeugs 100 geschieht in zwei Schritten:
- (i) Anfahren der Sollposition mit Anpassung der Geschwindigkeit an die Lücke
- (ii) Beim Erreichen der Sollposition an der Entscheidungsposition EP3 erfolgt ein Einfahren des automatisierten Fahrzeugs 100 in die Lücke S2
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Für jede der Lücken S1, S2, S3 kann im Simulationsbaum eine entsprechende Vorwärtssimulation durchgeführt werden, um die für das automatisierte Fahrzeug 100 „am besten geeignete“ Lücke für das Einfädelmanöver zu finden. Falls keine Lücke möglich ist, reduziert das automatisierte Fahrzeug 100 in der Funktion „In Spur fahren, mit oder ohne Vorderfahrzeug“ die Geschwindigkeit auf der Einfädelspur 2, und bleibt notfalls am Ende stehen.
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Mit der Fahrstilvorgabe bzw. Berechnungsvorschrift kann z.B. vorgegeben werden, in welchem Bereich der Lücke S2 das Fahrzeug 100 in die Lücke S2 einfahren soll (z.B. bei 30%, 50%, 70%, usw. der Lücke).
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In 6 wird an der Entscheidungsposition EP3 im Simulationsbaum eine Vorwärtssimulation durchgeführt, aus der sich ergibt, dass jetzt ein Einfädeln des Fahrzeugs 100 in die Lücke S2 möglich ist. Dies wird dann in weiterer Folge vom automatisierten Fahrzeug 100 auch in die Praxis umgesetzt.
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Gemäß einem allgemeinen Prinzip versteht es sich, dass mögliche räumliche und zeitliche Bedingungen für das Verzweigen zu alternativen Verhalten innerhalb einer Vorwärtssimulation nahezu unendlich sind. Im Folgenden werden deshalb mögliche Entscheidungsbedingungen lediglich exemplarisch aufgelistet, wobei Kombinationen der genannten Möglichkeiten ebenfalls möglich sind.
- - Abstand des automatisierten Fahrzeugs 100 zu anderen Fahrzeugen
- - Differenzgeschwindigkeiten zwischen Fahrzeugen (relativ zum Ego-Fahrzeug und zu anderen Fahrzeugen
- - absolute Geschwindigkeiten der Fahrzeuge (Ego-Fahrzeug und andere Fahrzeuge)
- - absolute oder relative Position auf einer Karte (zum Beispiel 100m vor einer Ausfahrt)
- - Position in der Lücke zwischen Fahrzeugen
- - Geschwindigkeit einer Lücke (Fahrgeschwindigkeit der beiden Fahrzeuge)
- - Öffnungs-/Schließgeschwindigkeit einer Lücke (Relativgeschwindigkeit der Fahrzeuge)
- - Breite einer Spur (Verengung, Split, Vereinigung, usw.)
- - Typ einer Fahrspur (z.B. Ein-/Ausfädelspur, Standstreifen, usw.).
- - Geschwindigkeitsbegrenzung einer Fahrspur
- - Wetterbedingungen (z.B. Sichtweite, Seitenwind, Fahrbahn-Reibwert, usw.).
- - Energievorrat (Füllstand Benzintank, Akku-Ladestand, usw.)
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Die genannten Entscheidungsbedingungen können programmtechnisch implementiert und in jedem Vorwärtszyklus des Simulationsbaums ausgewertet werden. Bei Erfüllen von definierten Bedingungen wird im Simulationsbaum jeweils eine Verzweigung in der oben erläuterten Weise durchgeführt.
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Falls keine Vorwärts-Simulation verwendet wird, können die gleichen Bedingungen auch für eine Entscheidung für oder gegen ein Verhalten in der Gegenwart verwendet werden (Skalierbarkeit herunter auf Systeme ohne jegliche Vorwärts-Simulation).
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Aus dem vollständig simulierten Simulationsbaum wird dann die beste Fahrstrategie ermittelt, die dann vom automatisierten Fahrzeug 100 in der Praxis auch umgesetzt wird.
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7 zeigt einen prinzipiellen Ablauf eines Verfahrens zum optimierten Betreiben eines automatisierten Fahrzeugs 100.
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In einem Schritt 200 erfolgt ein sensorisches Erfassen eines Umfelds des automatisierten Fahrzeugs 100.
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In einem Schritt 210 erfolgt ein Prädizieren eines Fahrverhaltens des automatisierten Fahrzeugs 100 und eines anderen sensorisch erfassten Verkehrsteilnehmers für einen definierten zukünftigen Zeitabschnitt in einem Simulationsbaum, wobei eine Interaktion des automatisierten Fahrzeugs 100 mit dem wenigstens einen anderen sensorisch erfassten Verkehrsteilnehmer und/oder eine Interaktion des automatisierten Fahrzeugs 100 mit dem sensorisch erfassten Umfeld ohne sensorisch erfassten Verkehrsteilnehmer simuliert wird, wobei ein Verzweigen des prädizierten Fahrverhaltens im Simulationsbaum jeweils erst nach Vorliegen von wenigstens einem definierten zeitlichen und/oder räumlichen Umstand des automatisierten Fahrzeugs 100 oder des Umfelds durchgeführt wird.
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In einem Schritt 220 wird das automatisierte Fahrzeug 100 gemäß einem definierten Ergebnis des prädizierten Fahrverhaltens geführt.
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Im Ergebnis können mit dem vorgeschlagenen Verfahren ein Sicherheitsniveau im Straßenverkehr vorteilhaft erhöht und ein homogener Verkehrsfluss unterstützt sein.
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Vorteilhaft lässt sich das erfindungsgemäße Verfahren als eine Software implementieren, die beispielsweise auf einer elektronischen Vorrichtung in Form eines Steuergeräts des automatisierten Fahrzeugs 100 abläuft. Eine einfache Adaptierbarkeit des Verfahrens ist auf diese Weise unterstützt.
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Obwohl vorgehend das vorgeschlagene Verfahren ausschließlich anhand von Rechtsverkehr beschrieben wurde, versteht es sich von selbst, dass das vorgeschlagene Verfahren auch bei Linksverkehr verwendbar ist, wobei in diesem Fall vorgehend genannte Richtungs-/Orientierungsangaben entsprechend angepasst werden müssen.
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Der Fachmann wird die Merkmale der Erfindung in geeigneter Weise abändern und/oder miteinander kombinieren, ohne vom Kern der Erfindung abzuweichen.