Verfahren und Vorrichtung zur Verzögerung eines Rotors einer Windkraftanlage
Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Verzögerung eines Antriebsstranges, insbesondere eines Rotors einer Windkraftanlage, bei dem zur Vermeidung einer unerwünscht hohen Belastung ein gegenüber dem maximalen Verzögerungsmoment verringertes Verzögerungsmoment eingeleitet wird. Weiterhin betrifft die Erfindung eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens.
Moderne Windkraftanlagen weisen in der Regel zwei unterschiedliche Bremssysteme auf. Als Betriebsbremse dient dabei eine aerodynamische Bremse, die als Flügel- oder Blattspitzenbremse bekannt ist. Diese aerodynamische Bremse wird beispielsweise aufgrund der auftretenden Zentrifugalkraft immer dann ausgelöst, wenn die Windgeschwindigkeit einen maximal zulässigen Wert übersteigt. Die Blattspitze dreht sich dabei beispielsweise um 80° und wirkt damit als aerodynamische Bremse.
Das zweite Bremssystem weist üblicherweise eine mechanische, insbesondere federbetätigte Scheibenbremse auf, die als Not- oder Parkbremse an der schnellen Welle zwischen dem Getriebe und dem Generator angeordnet ist. Die mechanische Bremseinheit wird lediglich in kritischen Situationen oder zum Festsetzen im Ruhezustand, beispielsweise für Servicetätigkeiten, eingesetzt.
Das Bremssystem wird im Betriebsfall elektromechanisch oder hydraulisch aktiviert. Tritt ein Notfall auf, der ein schnelles Abbremsen der Windkraftanlage erfordert, wird die Stromver-
sorgung der elektrotechnischen Bremseinheit abgeschaltet bzw. der hydraulische Druck durch Öffnen eines Ventils verringert. Dadurch wird die Bremseinheit durch die Vorspannkraft eines Federelementes aktiviert und überträgt so das erforderliche Verzögerungsmoment bis zum Stillstand der Windkraftanlage. Die Bremseinheit wirkt dabei im allgemeinen auf die schnelle Welle des Getriebes, weil dort ein der Übersetzung eines Getriebes entsprechendes, niedriges Drehmoment auftritt.
Durch das Verzögerungsmoment werden Trägheitsmomente wirksam, deren wesentlicher Anteil durch die Rotation der Rotorblätter verursacht wird. Die Kraftübertragung zwischen der Bremseinheit und den Rotorblättern erfolgt über das Getriebe und eine Hauptwelle. Durch das einsetzende Verzögerungsmoment werden die Hauptwelle sowie die weiteren Wellen des Getriebes tordiert. Dies führt bei einer schlagartigen Einleitung des maximalen Verzögerungsmomentes zu Torsionsschwingungen. Diese Torsionsschwingungen verursachen Drehmomentspitzenbelastungen, deren Betrag das Zweifache des Verzögerungsmomentes erreichen kann. Durch diese unerwünscht hohen Belastungen können das Getriebe, die Hauptwelle sowie die Rotorblattaufnahmen beschädigt werden.
Um solche Beschädigungen zu vermeiden ist es in der Praxis auch bereits bekannt, ein gegenüber dem maximalen Verzögerungsmoment wesentlich reduziertes Verzögerungsmo- ment einzuleiten. Dies geschieht beispielsweise durch ein elektrisch steuerbares Drosselventil. Als nachteilig hat sich dabei jedoch erwiesen, dass diese Drosselventile funktionsbedingt geringe Durchlassquerschnitte aufweisen, die leicht verstopfen können und dadurch zu einem Ausfall der Bremseinheit führen. Aus Sicherheitsgründen werden deshalb stets einfache Ventile parallel bzw. je nach Schaltungsanordnung in Reihe geschaltet, um im Notfall über eine große Querschnittsfläche der Ventile einen schnellen Abfluss der Hydraulikflüssigkeit zu gewährleisten. Daher können auch bei dieser Art der Verzögerung die maximalen Verzögerungsmomente auftreten. Die Windkraftanlage muss daher für Notsituationen für eine das maximale Verzögerungsmoment übertreffende Spitzenbelastung ausgelegt sein.
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur zuverlässigen und schnellen Verzögerung des Rotors der Windkraftanlage zu schaffen, bei dem eine unerwünschte, insbesondere über dem maximalen Verzögerungsmoment liegende Spitzenbelastung ausgeschlossen werden kann. Weiterhin soll eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens geschaffen werden.
Die erstgenannte Aufgabe wird erfindungsgemäß mit einem Verfahren gemäß den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gelöst. Die Unteransprüche 2 bis 6 betreffen besonders zweckmäßige Weiterbildungen der Erfindung.
Erfindungsgemäß ist also ein Verfahren vorgesehen, bei dem nach dem Einleiten des Verzögerungsmomentes zumindest ein zusätzliches Verzögerungsmoment mit einer auf die Eigenfrequenz der Windkraftanlage abgestimmten zeitlichen Verschiebung eingeleitet wird. Hierdurch wird das Verzögerungsmoment zeitversetzt derart eingeleitet, dass eine unerwünschte Schwingung, insbesondere Torsionsschwingung, nicht auftreten kann. Hierzu wird zunächst ein reduziertes Verzögerungsmoment eingeleitet und entsprechend der Eigenfrequenz der Windkraftanlage das Verzögerungsmoment schrittweise in einem oder mehreren Stufen oder aber kontinuierlich erhöht. Auf diese Weise kann der Rotor wesentlich stärker verzögert werden und kommt somit früher zum Stillstand, woraus sich ein erheblicher Sicherheitsgewinn ergibt. Weithin ist es dabei nicht erforderlich, die Windkraftanlage auf Belas- tungen auszulegen, die oberhalb des maximalen Verzögerungsmoments liegen, weil diese in der Praxis nicht auftreten können. Eine schlagartige Einleitung des maximalen Verzögerungsmomentes tritt dabei ebenso wenig auf.
Hierbei wird eine besonders vorteilhafte Ausgestaltung des Verfahrens dadurch erreicht, dass die zeitliche Verschiebung im wesentlichen der halben Periode der Torsionseigenfrequenz der Windkraftanlage entspricht. Hierdurch wird eine mögliche Torsionsschwingung vermieden, indem durch die Überlagerung der eingeleiteten Verzögerungsmomente das Auftreten von Drehmomentspitzen ausgeschlossen wird.
Eine weitere besonders praxisnahe Ausgestaltung wird auch dann erreicht, wenn zur Bestimmung des zusätzlichen Verzögerungsmomentes die Eigenfrequenz eines Triebstranges der Windkraftanlage zugrunde gelegt wird. Dabei werden alle dem Triebstrang zuzurechnenden, rotierenden Elemente berücksichtigt, so dass in optimaler Weise mögliche Schwingungsbelastungen des Gesamtsystems vermieden werden.
Dabei erweist es sich ebenfalls als besonders zweckmäßig, wenn die beiden Verzögerungsmomente hydraulisch eingestellt werden, um auf diese Weise eine beliebige Abstufung der eingeleiteten Verzögerungsmomente zu erreichen. Die hydraulischen Elemente müssen dabei nicht unmittelbar auf die Bremseinheit wirken, sondern können auch lediglich als Stell- elemente eingesetzt werden, um so die Unabhängigkeit der Bremseinheit von einem möglichen Ausfall der Druckversorgungseinrichtung zu erreichen.
Eine weitere, besonders günstige Abwandlung der vorliegenden Erfindung wird auch dadurch erreicht, dass die Verzögerungsmomente im wesentlichen gleich groß sind, um so eine möglichst gleichmäßige Einleitung der Verzögerungsmomente zu erreichen. Hierdurch werden mögliche Schwingungen des Triebstranges zuverlässig ausgeschlossen. Das maximal einzuleitende Verzögerungsmoment wird so über die Umlaufzeit des rotierenden Systems gleich verteilt.
Eine weitere besonders erfolgversprechende Weiterbildung des erfindungsgemäßen Verfah- rens wird auch dann erreicht, wenn die bei der Einleitung des Verzögerungsmomentes auftretenden Reaktionskräfte erfasst und daraus die zeitliche Verschiebung oder der Betrag des nachfolgend einzuleitenden Verzögerungsmomentes bestimmt wird. Hierdurch kann das Verzögerungsmoment entsprechend der erfassten Reaktionskräfte dosiert eingeleitet werden, um so auf möglicherweise auftretende, unerwünschte Belastungen flexibel reagieren zu können. Die Windkraftanlage ist hierzu mit einer Steuereinheit ausgestattet, durch die alle wesentlichen Parameter und wahlweise auch äußere Betriebsbedingungen erfasst und mittels eines Steuerprogramms in einen entsprechenden Befehl für das einzuleitende Verzögerungsmoment umgesetzt werden. Je nach den ermittelten Umständen wird wahlweise die zeitliche Verschiebung, das Verzögerungsmoment oder beides variiert, um unerwünschten Belastungszuständen entgegenzuwirken.
Die zweitgenannte Aufgabe, eine Vorrichtung zum Verzögern eines Antriebsstranges, insbesondere eines Rotors einer Windkraftanlage, bei der zur Vermeidung einer unerwünscht hohen Belastung mittels einer Bremseinheit ein gegenüber dem maximalen Verzögerungsmo- ment verringertes Verzögerungsmoment übertragbar ist, zur Durchführung des Verfahrens zu schaffen, wird erfindungsgemäß dadurch gelöst, dass mittels der Bremseinheit zusätzlich zu dem verringerten Verzögerungsmoment mit einer auf die Eigenfrequenz abgestimmten zeitlichen Verschiebung zumindest ein zusätzliches Verzögerungsmoment übertragbar ist. Hierdurch wird das maximale Verzögerungsmoment schrittweise in einer auf die Eigenfre- quenz der Windkraftanlage abgestimmten Abfolge eingeleitet, um so das Entstehen von Schwingungen des rotierenden Systems zu verhindern. Die zeitliche Abfolge, wie auch die Abstufung der Verzögerungsmomente, wird dabei durch wesentliche Kenngrößen festgelegt, die individuell oder bauartbedingt bestimmt werden.
Dabei wird eine besonders vorteilhafte Ausführungsform auch dadurch erreicht, dass die Bremseinheit einen mittels einer Halteeinheit in einer Ruhestellung der Bremseinheit entge-
gen einer Vorspannkraft festlegbaren Bremskörper aufweist. Hierdurch führt ein Ausfall der Halteeinheit, beispielsweise infolge einer Beschädigung oder eines Stromausfalles, zu einer Aktivierung der Bremseinheit, indem die Vorspannkraft auf den Bremskörper wirkt und damit das erforderliche Verzögerungsmoment überträgt.
Eine weitere, besonders günstige Ausgestaltung der vorliegenden Erfindung wird auch erreicht, indem der Bremskörper mittels der Halteeinheit zur Einstellung des ersten und des zusätzlichen Verzögerungsmomentes in unterschiedlichen Positionen festlegbar ist. Hierbei wird in jeder Position der Halteeinheit ein vorbestimmtes Verzögerungsmoment eingeleitet, um so die schrittweise Erhöhung des Verzögerungsmomentes bis zum Erreichen des maximalen Verzögerungsmomentes zu ermöglichen.
Dabei ist es besonders einfach, wenn die Halteeinheit einen Hydraulikzylinder aufweist, durch den eine der gewünschten Vorspannkraft entgegenwirkende Kraft eingeleitet wird. Zum Auslösen des Verzögerungsmomentes wird daher lediglich der Hydraulikzylinder von der Druckversorgungseinrichtung derart angesteuert, dass dieser in seine Ruhelage zurückkehrt und die Vorspannkraft auf den Bremskörper der Bremseinheit wirkt.
Dabei ist eine besonders zuverlässige Ausgestaltung der Vorrichtung auch dadurch erreicht, dass der Hydraulikzylinder in der Ruhestellung der Bremseinheit mit einem Fluid aus einer Druckversorgungseinrichtung beaufschlagt ist, so dass ein Ausfall der Druckversorgung zu einer sofortigen Einleitung des Verzögerungsmomentes führt. Eine Fehlfunktion der Halteeinheit führt daher in keinem Fall zu einer Aufhebung des Verzögerungsmomentes.
Hierbei ist es auch besonders günstig, wenn die elektrische Energie zur Versorgung der Bremseinheit mittels eines Kondensators speicherbar ist, so dass die Funktionsfähigkeit der Vorrichtung auch bei einem Ausfall der elektrischen Energieversorgung in jedem Fall sichergestellt ist.
Das Verfahren und die Vorrichtung sind bei beliebigen Antriebssträngen einsetzbar. Dabei eignen sie sich ebenso für schienengebundene Fahrzeuge als auch für Straßenfahrzeuge, wie auch für sonstige Maschinen. Neben Anwendungen zur Vermeidung hoher Belastungen sind zu Steigerung der Genauigkeit darüber hinaus auch Anwendungen bei solchen Einsatzzwecken denkbar, die der Positionierung und Handhabung dienen, beispielsweise bei Aktua- toren oder Handhabungsautomaten.
Die Erfindung lässt verschiedene Ausführungsformen zu. Zur weiteren Verdeutlichung ihres Grundprinzips ist eine davon in der Zeichnung dargestellt und wird nachfolgend beschrieben. Diese zeigt in
Fig.1 eine Prinzipdarstellung einer erfindungsgemäße Vorrichtung;
Fig.2 ein Schaltbild eines Ventils der in Figur 1 gezeigten Vorrichtung.
Figur 1 zeigt in einer Prinzipdarstellung eine erfindungsgemäße Vorrichtung 1 zum Verzö- gern eines nicht dargestellten Rotors einer Windkraftanlage. Über eine Pumpe 2 wird zur Herstellung der Betriebsbereitschaft aus einem drucklosen Tank 3 eine Hydraulikflüssigkeit in eine als Druckspeicher ausgeführte Druckversorgungseinrichtung 4 gefördert. In der dargestellten Ruhestellung einer Bremseinheit 5, in der ein Bremskörper 6 gegenüber einer auf einer Hauptwelle 7 angeordneten Bremsscheibe 8 beabstandet ist, ist ein Ventil 9 durch An- legen einer Steuerspannung derart eingestellt, dass ein im wesentlichen ungehinderter Durchfluss einer Hydraulikflüssigkeit gegeben ist. Hierdurch wird in einer mit einem Hydraulikzylinder 10 ausgestatteten Halteeinheit 11 der erforderliche Druck aufgebaut, um den Bremskörper 6 entgegen der Vorspannkraft FR eines Federelementes 12 in die dargestellte Ruhestellung der Bremseinheit 5 zu bewegen. Zugleich wird ein möglicher Ablauf der Hyd- raulikflüssigkeit über zwei als elektrisch betätigbare Kugelsitzventile ausgeführte Ventile 13, 14 durch Anlegen einer Steuerspannung vermieden. Wird hingegen eine Schalteinheit 15 betätigt, schließt das Ventil 9, und das Ventil 14 wird unverzögert geöffnet. Die Hydraulikflüssigkeit kann dadurch über einen Druckminderer 16 in den Tank 3 abfließen, bis das Verzögerungsmoment etwa der Hälfte des gewünschten maximalen Verzögerungsmomentes ent- spricht. Über einen Verzögerungsschalter 17 wird mit einer zeitlichen Verschiebung, die einer halben Periode der Triebstrangeigenfrequenz entspricht, auch das Ventil 13 geöffnet. Die Hydraulikflüssigkeit fließt dadurch vollständig in den Tank 3 ab, so dass die Vorspannkraft FR des Federelementes 12 uneingeschränkt auf den Bremskörper 6 wirkt. Hierdurch wird das maximale Verzögerungsmoment ausgelöst.
Die insbesondere zur Steuerung der Ventile 9, 13, 14 erforderliche elektrische Energie wird mittels eines Kondensators 18 bereitgestellt, dessen Schaltbild in Figur 2 beispielhaft dargestellt ist. Die Schalteinheit 15 ermöglicht in ihrer geschlossenen Schaltstellung einen Ladevorgang des Kondensators 18 über einen Widerstand 19. Das Ventil 14 wird daher direkt geschaltet. Wird die Schalteinheit 15 bei einem Notfall betätigt, erfolgt die elektrische Energieversorgung des Ventils 14 über eine Diode 20 so lange, bis der Kondensator 18 entladen
ist. Die Verzögerungszeit ergibt sich dabei aus der Kapazität des Kondensators 18 sowie dem Stromverbrauch und dem elektrischen Schaltpunkt des Ventils 14.